Außerhalb der Geschäftszeiten fühlen sich Besucher der City of London wie auf einem Science-Fiction-Geisterplaneten: futuristische Bauten, aber kein Mensch weit und breit. Gerade dann lohnt der Besuch.
Es ist Samstag früh. Als wir morgens unser Hotel verlassen, erwarten uns leere Straßen. Was ist los? Warum sind hier kaum Menschen und Autos? Der Lösung kommen wir auf unserem Spaziergang schnell auf die Spur: Wir befinden uns im Banken- und Büroviertel im Osten der City of London. Laut Wikipedia ist das der kleinste und am wenigsten bevölkerte Stadtteil Londons. Dabei stehen hier überall Hochhäuser, nur wohnt hier eben niemand. Ob es wohl hier auch ein paar Sehenswürdigkeiten gibt?
Von einer zumindest wissen wir, meine Frau Katrin und ich. Wir wollen den Leadenhall Market besichtigen, nur einige Straßen weiter. Wir ziehen also los durch die stille Stadt. Und zwischen all den verspiegelten Einheitsbauten entdecken wir rasch auch Sehenswürdigkeiten, die wir gar nicht erwartet hätten. Zunächst kleinere:
Dieser Wasserspeier, der einst zur Versorgung der Bewohner mit Trinkwasser diente, heißt Aldgate Pump und steht hier schon seit 1876. Vermutlich ist das Bauwerk aber älter – Londoner versetzen ihre Denkmäler gerne einmal. Der Wolfskopf soll an den letzten in der City of London geschossenen Wolf erinnern.
Ein Stück weiter spitzt „The Gherkin“ – zu Deutsch: die Gewürzgurke – zwischen den Häuserschluchten durch. Eigentlich heißt das Gebäude 30 St Mary Axe, doch wegen seiner auffälligen Ähnlichkeit mit einer Cornichon tauften die Engländer das Gebäude humorvoll auf seinen neuen Kosenamen.
2004 wurde es hier eröffnet, nur ein Stück hinter der St Andrew Undershaft Kirche, die einen wunderbaren Kontrast dazu abgibt. The Gherkin wurde geplant von Sir Norman Foster, einem berühmten Architekten, dem wir Deutschen auch die neue Reichstagskuppel verdanken oder die Franzosen das Viaduc de Millau.
Die Straße St Mary Axe erlangte 1993 traurige Berühmtheit, als eine IRA-Bombenexplosion dort einen Toten, 40 Verletzte und viele zerstörte Gebäude hinterließ. Terror – in London sicher nichts Neues. (Und auch wir würden es noch am selben Abend erleben, dass die Stadt nicht zur Ruhe kommt. Es war der Tag des Anschlags auf der London Bridge.)
Doch zunächst drehen wir uns um, denn genau dort, wo St Mary Axe auf die Leadenhall Street trifft, entsteht ein neuer Turm.
Spitzname: „The Scalpel“ – das Skalpell. Denn er wird ein recht scharfes Design aufweisen, wenn er fertig ist. Auch hier schwangen bekannte Architekten den Zeichenstift: das Büro Kohn Pedersen Fox hat schon viele Wolkenkratzer entworfen, unter anderem auch in Frankfurt am Main.
Lloyds of London: Das inside-out Haus
Rechts hinten im Eck auf dem Bild erkennt der geneigte Leser die Spitze eines weiteren Gebäudes. Wir standen ein Weile rätselnd davor. Eine Milchfabrik? Hier in Mitten in London? Oder ein Schlachthaus? Trist genug sähe es ja aus, und selten hässlich sowieso. Wir mussten seitlich des Gebäudes gehen, um zum Leadenhall Market zu gelangen. Da, tatsächlich ein Eingang. Hier gehen Menschen hinein, auch wenn es nur Bullaugen statt Fenstern gibt. Die Armen! So ein hässliches Gebäude fotografiere ich nicht. Am besten sollte man es abreißen!
Nun, es handelt sich um das Bürohaus von Lloyds of London. Und ja: Da arbeiten Menschen drin. Auch hier haben die Engländer wieder einen passenden Spitznamen gefunden: The inside-out Building, quasi „das nach außen gestülpte Haus“. Passend.
Wie gesagt, leider habe ich kein Foto gemacht, darum bediene ich mich ausnahmsweise Wikipedia.
Und glaubt mir: Das ist eine schmeichelhafte Aufnahme. Einer der Architekten ist Richard Rogers, der auch am ganz ähnlich wirkenden Centre Georges Pompidou mitgewirkt hat – die Franzosen haben ihrem Bau den Spitznamen „Raffinerie“ gegeben. Scheint wohl eine Obsession des Architekten zu sein, Denk-„Fabriken“ zu erschaffen.
Leadenhall Market: Zauberhaft in jeder Hinsicht
Hinter dem Lloyds-Gebäude aber sind wir endlich am Ziel. Wir betreten den Leadenhall Market und werden in der Zeit zurückgeworfen.
Wem das jetzt etwas bekannt erscheint: Der überdachte Markt bot dem ersten Harry-Potter-Film eine Kulisse für die Winkelgasse. In den späteren Filmen dagegen wurde diese dann im Studio gebaut.
Tatsächlich findet sich hier viel Zauberhaftes. Drachen zum Beispiel …
… kleine Seitengässchen …
… oder runde Fenster unter dem Firmament.
Der Markt an dieser Stelle geht zurück bis ins 14. Jahrhundert, als es noch Bleidächer gab – darum Leadenhall. Durch ein Feuer wurde er 1666 zerstört und in heutiger Form 1888 wieder aufgebaut.
20 Fenchurch Street: Das Walkie Talkie Haus
Doch Zeit, diesen wunderschönen Ort zu verlassen und wieder in die Moderne einzutauchen. Ein Stück hinter dem Leadenhall Market überragt wieder ein Wolkenkratzer die umgebenden Gebäude.
Wieder ein Stück modernster Architektur, die 20 Fenchurch Street. Und – na klar – der Londoner hat für das Gebäude einen Spitznamen: The Walkie Talkie. Stimmt. Hat eine gewisse Ähnlichkeit. Das Besondere hier: oben gibt es den Skygarden mit einem wunderbaren Blick über die Stadt. Aber man muss sich vorher anmelden, spontan vorbeikommen geht nicht. Leider haben wir uns nicht angemeldet.
Die Besonderheit des Gebäudes: Es wird oben hin immer breiter. Der Architekt Rafael Viñoly ist auch beteiligt am zweithöchsten Gebäude Manhattans, New York. 423 Park Avenue ist allerdings ein sehr schlanker Turm.
Wir ziehen also weiter, wollen zur St Paul’s Cathedral und zur Themse. Unterwegs entdecken wir dieses Haus, das uns ein wenig an unseren Lieblingsstil erinnert: Art Déco. Tatsächlich aber stammt 30 Canon Street aus den 1970ern. Schön ist es trotzdem.
Einige Schritte weiter und wir sehen die St Paul’s Cathedral.
Wir schauen uns dort die Gärten an, der Eintritt ins Innere ist uns allerdings zu teuer. Dafür finden wir dahinter das Stadttor Temple Bar, das letzte Stadttor Londons aus alter Zeit.
Es gehört allerdings eigentlich nicht hierher, wie auch der Brunnen ganz zu Beginn unseres Ausflugs, wurde das Stadttor hierher verpflanzt.
Millennium Bridge: Blick über die Themse
Am Ende gehen wir wieder über zu moderner Architektur – besser gesagt: Wir gehen über moderne Architektur, wir gehen über die Millennium Bridge. Und hier schließt sich der Kreis: Denn auch diese Fußgängerbrücke über die Themse wurde entworfen von Sir Norman Foster. Sie verbindet die City of London mit dem anderen Ufer und führt schnurstracks auf die Tate Gallery of Modern Art zu.
Von der Brücke aus aus hat man nochmal einen Blick auf die moderne City of London.
Fazit: Uns hat der Ausflug ins moderne London sehr gut gefallen – die neuen Gebäude sind ebenso architektonische Highlights, wie es die alten sind.
Sehr schöne Bilder, gefallen uns sehr gut!
Wir hatten leider nicht so viel Glück mit dem Wetter in London. Aber wir freuen uns antürlich auf einen Gegenbesuch 🙂
Vielel Grüße
Michael & Sandra