Paris, Tour Eiffel! Nein, das höchste Bauwerk Frankreichs ist nicht der Eiffelturm – nicht mehr. Was ihn vor einigen Jahren abgelöst hat, ist nicht minder gigantisch und wegweisend als jene Konstruktion von Gustave Eiffel, der übrigens auch den Westbahnhof in Budapest entworfen hat. Wir sprechen vom Viaduc de Millau – der weltweit größten Schrägseilbrücke mit 2.460 Metern Länge und 343 Metern Höhe.

Tour gen Süden

Welche Route empfiehlt sich für eine Urlaubsfahrt nach Südfrankreich ins Languedoc? Statt der fast überall mautpflichtigen und auch sehr staugefährdeten Autobahn über Lyon war uns schnell klar, dass wir die A75, die La Méridienne, über Clermont-Ferrand wählen und durchs Zentralmassiv und das Aveyron wollen. War dort nicht auch jene Brücke, die schon in einer Fernsehdokumentation neugierig gemacht hatte?

Nach den markanten Vulkankegeln der Auvergne und den Anstiegen ins Gebirge befinden wir uns im Massif central, das hier bei einer abwechslungsreichen Streckenführung oft noch wie eine relativ beschauliche aber etwas karge Hügellandschaft wirkt. Überraschend sind die gelegentlich anzutreffenden Höhenschilder, da man nicht erwartet, mitunter mehr als 1.000 Meter über Meeresniveau zu sein. Unaufhaltsam rückt Millau näher und wir schauen gespannt, wann sich ein erster Blick bieten mag. Tatsächlich zeigt sich der Viadukt bei der Anfahrt aus Norden kommend schon fast 20 Kilometer davor einmal kurz, um rasch wieder zu verschwinden und sich noch lange in der Landschaft weitgehend zu verstecken.

Unsere erste Begegnung mit dem Viadukt

Viaduc de Millau, vom Rastplatz Aire de Brocuéjouls aus gesehen
Viaduc de Millau, vom Rastplatz Aire de Brocuéjouls aus gesehen

Kurz vor der Brücke nehmen wir die Ausfahrt zum angezeigten Aussichtspunkt und der Raststätte Aire de Brocuéjouls. Ein alter Bauernhof wurde zum Rastplatz umgebaut. Auch die Versorgung in der Gaststätte Espace Gourmand Bras ist nicht alltäglich, denn hier kümmert sich als Pächter Michel Bras, der für sein Restaurant in Laguiole mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist. Natürlich gibt es hier auf der Raststätte keine Sterneküche, aber Capucins auf höchstem Niveau, wie man auf dem Blog Confiture de vivre nachlesen kann.

Vor uns steht schon ein gewaltiges Bauwerk, das nur schwer zu erfassen ist. Im Nachhinein muss man jedoch sagen: Von hier wirkt die Sicht nicht ganz so spektakulär, weil man quasi schon recht dicht dran ist und im sehr spitzen Winkel von oben an der Brücke entlang schaut. Da der Abend nahte und unser Ziel in einem Dorf im Languedoc noch einige Kilometer entfernt war, musste dies zunächst reichen. Wir kommen wieder. Weiter geht’s über die mautpflichtige Brücke.

Zufahrt auf der Autobahn zum Viaduc de Millau
Zufahrt auf der Autobahn zum Viaduc de Millau

Letztlich vergehen die zwei Minuten auf dem Viadukt wenig spektakulär. Die sieben Pfeilerspitzen mit ihren Abspannseilen haben eine eindrucksvolle Größe, die beim Vorbeifahren nur annähernd wahrnehmbar ist. Und die Hoffnung auf atemberaubende Blicke wird leider enttäuscht. Aus Sicherheitsgründen befinden sich seitlich stabile Metallgeländer und zusätzlich 3,2 Meter hohe Windschutzwände, die den Blick in die Schlucht völlig versperren. Die Autobahnstrecke über den Viaduc de Millau ist zwar überaus praktisch, aber nur wenig geeignet, um das Bauwerk richtig kennenzulernen.

Surrealistische Struktur aus der Ferne

Aussicht über Millau
Aussicht über Millau

An einem der nächsten Tage stand die Kleinstadt Millau (rund 28.000 Einwohner) auf dem Programm und natürlich der Viadukt. Diesmal von Süden kommend verlassen wir die La Méridienne schon einige Kilometer eher bei La Cavalerie und folgen der D809 in Richtung Millau. Das ist jene ursprüngliche Straße, welche von der Hochebene der Grand Causses hinunter in die Tarnschlucht (Gorges du Tarn) und nach Millau führt. Kurz bevor das Gelände stärker abfällt, befindet sich an einer scharfen Linkskurve ein kleiner Aussichtspunkt und Parkplatz, der herrliche Ausblicke in verschiedene Richtungen eröffnet. Neben der von hier wie ein geometrisch weißes Gespinst wirkenden gigantischen Brücke schweift der Blick über Millau tief ins Tal des Tarn, über die nördlich gelegenen nächsten Hochebenen und zum Zentralmassiv sowie in der Nähe auf die schroffen Kalkhänge beiderseits am Eingang zur Tarnschlucht.

Viaduc de Millau vom Aussichtspunkt aus gesehen
Viaduc de Millau vom Aussichtspunkt aus gesehen
Blick in Richtung Tarnschlucht
Blick in Richtung Tarnschlucht

Obwohl oder weil die Brücke etwa 8,5 Kilometer Luftlinie entfernt ist, kann man von hier aus den Viaduc de Millau als Gesamtbauwerk und Kunstwerk betrachten. Anschauliche Infotafeln auf Französisch (auch mit geringen Sprachkenntnissen erschließen sich wichtige Angaben) erzählen über die landschaftliche Struktur der Region und das Bauwerk Viaduc de Millau sowie dessen Geschichte.

Meine Empfehlung: Einer der schönsten und auch beliebtesten Aussichtspunkte. Man sollte möglichst schon früh da sein, weil sonst die wenigen Parkplätze für die vielen Schaulustigen kaum reichen. Zudem blickt man am besten mit der Morgensonne oder bei aufsteigendem Nebel über die Stadt Millau und zum Viaduc de Millau.

Mein Fototipp: Hier ist einer der Orte, um die Brücke gut in ihrer Gesamtheit aufzunehmen. Ein gängiges Reisezoom-Objektiv reicht vollkommen aus.

Viaduc de Millau von unten

Viaduc de Millau von unten
Viaduc de Millau von unten

Die wahren Ausmaße des Viadukts werden erst deutlich, wenn man dicht daran oder darunter steht. Dazu fahren wir von Millau etwa vier Kilometer stadtauswärts in Richtung der unübersehbaren Brücke. Wir überqueren den Tarn und folgen der D992 über Creissels / Millau, bis es am Kreisverkehr direkt darunter zum Besucherzentrum geht. Auch wenn die Einrichtung recht touristisch gehalten ist, kann man sich dort mal kurz umsehen. Am spannendsten fanden wir den Größenvergleich des Viaduc de Millau mit Bauwerken, die praktisch jeder kennt.

Etwa die Freiheitsstatue New York oder der Elizabeth Tower („Big Ben“) in London finden bequem unter einem der Pylonen Platz. Auch die Cheops-Pyramide verschwindet darunter. Geometrisch entspricht sie eher nur den Abmessungen der Spannseile zum Tragen der vierspurigen Autobahn. Und auch das Wahrzeichen Frankreichs muss passen, wenn man den Eiffelturm direkt ans Ufer des Tarn stellen würde.
Derzeit wird das Besucherzentrum renoviert. Ab April 2017 gibt es eine erneuerte Ausstellung und künftig auch geführte Touren, die Gäste noch dichter heranbringen. Weitere Infos auf der Webseite des Besucherzentrums.

Selbst der Eindruck von hier unten ist noch nicht die ganze Wahrheit. Es empfiehlt sich eine kleine Wanderung die Straße entlang nach unten zum Tarn. Nach der Überquerung des Flusses biegt man links ab auf den asphaltierten Fußweg und kann dort bist ganz dicht an den Fußpunkt des höchsten Pylonen gelangen. Durch die klaren Formen und die Perspektiven bieten Bilder nur schwerlich einen Anhaltspunkt zur Größeneinschätzung. Wie klein ist doch ein Reise-Blogger gegenüber dem Viaduc de Millau.

Pfeiler vom Viaduc de Millau
Pfeiler vom Viaduc de Millau
Größenvergleich des Pfeilers
Größenvergleich des Pfeilers

Meine Empfehlung: Man solle sich unbedingt unter den Viaduc de Millau begeben, egal ob per Auto, Fuß, Rad oder gar Boot auf dem Tarn. Man wähnt sich in Brobdingnag angekommen. Fotografen finden in Millau eine Spielwiese zum Experimentieren von Fischauge bis Megazoom.

Zahlen und Fakten zum Viaduc de Millau

Dass diese Brücke höher als der Eiffelturm ist, haben wir bereits gelernt. Planerisch ist der Viaduc de Millau ein Werk des Star-Architekten Sir Norman Foster. Er reiht sich damit ein in grandiose Projekte wie die Millennium-Bridge (siehe auch City of London), das Britisch Museum und das neue Wembley-Stadion in London, die Berliner Reichstagskuppel, den Commerzbank-Tower Frankfurt, den Flughafen Peking und sogar die neue Apple-Zentrale in Cupertino. Was gute Architektur ausmacht, nennt Foster im Interview mit dem Art-Magazin selber bezugnehmend auf den römischen Architekten Vitruv: Funktionalität, Beständigkeit und Anmut. Zwar kennen wir längst nicht alle Werke, aber Millau empfinden wir als eine seiner schönsten Konstruktionen. Für die Ausführung war übrigens der französische Ingenieur Michel Virlogeux maßgeblich verantwortlich.

Geschichte

Bereits seit 1978 beschäftigten sich Experten mit der Frage der Realisierbarkeit einer Brücke über die Tarnschlucht. 1993 wurde eine Kommission aus Experten und Architekten für die Planung gebildet. 1996 entschied man sich dann für den Entwurf einer Schrägseilbrücke von Norman Foster. 1998 wurde die Konzession für den Brückenbau vergeben und 2001 der Bauauftrag an die Compagnie Eiffage erteilt, das Bauunternehmen, dessen Mitbegründer schon Gustave Eiffel war. Exakt 3 Jahre nach der Grundsteinlegung war die Brücke planmäßig und pünktlich fertiggestellt und wurde am 14. Dezember 2004 vom damaligen Präsidenten Jacques Chirac feierlich in Betrieb genommen.

Für die 270 Meter über dem Tarn verlaufende Fahrbahn und die bis zu 245 Meter hohen Pylonen – übrigens die höchsten Brückenpfeiler der Welt – wurden insgesamt über 200.000 Tonnen Beton verbaut. Das längste Halteseil ist alleine 180 Meter lang und wiegt 25 Tonnen.

Kosten

Was kostet nun so ein gigantisches Projekt? Doch bestimmt mehr als so ein Flughafen BER, der nicht fertig werden will? Nein. Aber gewiss mehr als ein Konzertsaal wie Elphi? Nicht mal das. Die Elbphilharmonie hat acht Jahre Verspätung und mit 789 Millionen am Ende das Vierfache gekostet. Von den Milliarden für BER ganz zu schweigen. Der Viaduc de Millau ist für gerade mal 400 Millionen Euro zu haben, privat finanziert mit der Konzession zur Mauterhebung und der Aufgabe zur Instandhaltung an den Betreiber. im Jahre 2079 geht der Besitz an den französischen Staat über. Nach zehn Jahren Nutzung haben bereits mehr als 40 Millionen Fahrzeuge die Brücke passiert und wir waren dabei. Also auch wirtschaftlich sollte sich das bald rentieren. Hier ist übrigens der Ort, wo ich mal gerne die Maut für ein großartiges Bauwerk entrichte.

Viadukt und Natur – geht das?

Viaduc de Millau in natürlicher Landschaft
Viaduc de Millau in natürlicher Landschaft

Auch wenn manche Naturschützer gegen das Projekt waren, finden wir das eine sehr gelungene Lösung, die letztlich eher der Natur dienlich ist. Für den Viadukt wurde die Landschaft nicht umgestaltet, sondern die Brücke darin eingepasst. Die Tarnschlucht und auch die Fußpunkte der Pylonen wirken eher wie ein naturnahes Ausflugsziel. Und die Brücke hat einen Riesenvorteil für den Verkehr. Während die Serpentinen nach Millau hinab, die Stadtdurchfahrt und den Berg wieder hinauf früher etwa 2 Stunden dauerten, ist man heute praktisch in zwei Minuten über die Schlucht hinweg. Eine Riesenersparnis an Zeit und Spritverbrauch und eine Entlastung für Millau. Zudem noch eine weit bessere Verkehrsanbindung und eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges für die historische Stadt des Leder-Handwerks.

Praktisches & Maut

Die Ausstellung im Besucherzentrum zum Viaduc de Millau ist bis 31.3.2017 vorübergehend geschlossen, dann wieder täglich geöffnet. Die Maut kostet für PKW in der Nebensaison 7,80 Euro sowie in der sommerlichen Hauptsaison 9,80 Euro. Alle Details dazu gibt die Webseite des Betreibers auch auf Englisch.

(Danke an meine Frau Kathrin, die die Fotos gemacht hat.)

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