Liverpool ist berühmt. Für Dauerregen und heruntergewirtschaftete Industrie. Als Heimat der Beatles, die Fußballgeschichte schrieb. Dabei hat die Stadt doch so viel mehr im Programm: Nämlich ein riesiges Kulturangebot, Flair und Charakter.

Wenn ich versuche zu vermitteln, wie großartig Liverpool ist, reagieren die meisten so, als hätte ich eine Reise nach Castrop-Rauxel empfohlen. Hey, aus dem trostlosen Ort im Nordwesten Englands ist längst eine der spannendsten britischen Städte geworden!

St. George's Quarter, die Museumsmeile in Liverpool
St. George’s Quarter

Seit Jahren wird saniert, gebaut und erneuert – und dabei ist so vieles Wunderbares entstanden. Vom gegenüberliegenden Flussufer kann man der Skyline beim Wachsen zusehen während sich die berühmte Fähre durchs Wasser pflügt.

Aus Lautsprechern krächzen Gerry and the Peacemakers „Feeeerry cross the meeersey”. Das ist der Soundrack dieser Stadt, die mehr Nummer Eins-Hits in den Charts platzierte (immerhin 56)  als jede andere auf der Welt.

Die Musik hat die Scouser, so nennen sich die Liverpooler, seit den 60er Jahren nachhaltig unter Strom gesetzt.  In der Matthew Street kann man den Geist dieser Zeit noch spüren. Damals als sich die Ramones, The Clash und all die Großen des Punk im „Eric’s“ trafen.

Beatles-Party in Dauerschleife

Gegenüber im berühmten Cavern Club läuft der Zapfhahn schon ab mittags. Tausende von Touristen drängeln sich in das düstere Kellergewölbe, denn hier standen die Beatles satte 292 Mal auf der Bühne.

Eine Band, die es seit über 40 Jahren nicht mehr gibt, ist immer noch Liverpools größter Touristenmagnet. Die Beatles-Industrie schafft Jobs für über 2500 Menschen.

Vor dem Cavern Club in Liverpool
Vor dem Cavern Club

Fans übernachten im Hard Day’s Night Hotel und werden mit Bussen zu den Elternhäusern von John und Paul gekarrt. Sie stehen mit Tränen in den Augen in der Penny Lane und bewundern im „The Beatles-Story“ ein Sammelsurium an Devotionalien, das man sich nicht ausdenken kann.

Das Museum liegt direkt am Albert Dock im sanierten Hafenviertel. Hier kann man zwei Tage verbringen und hat danach immer noch nicht alles gesehen.
Die historischen Lagerhäuser beherbergen Hotels, kleine Shops und nette Restaurants. Für Kunstinteressierte gibt’s einen Ableger der Londoner Tate.

Albert Dock im sanierten Hafen in Liverpool
Albert Dock im sanierten Hafen

Wegen seiner seefahrts- und handelsgeschichtlichen Bedeutung ist Liverpool seit 2004 Weltkulturerbestätte. Im 18. Jahrhundert wurden vierzig Prozent des Welthandels über die Stadt abgewickelt.

Den enormen Reichtum verdankten die Liverpooler aber vor allem dem Handel mit der Ware Mensch. Das International Slavery Museum setzt sich mit dem dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte auseinander. Diese Ausstellung geht unter die Haut.

Imposante Architekt und Kunst

Zeugen dieser Vergangenheit sind die „The Three Graces“ . Am Pear Head thronen die Hafenbehörde, das Haus der einst mächtigen Cunard–Reederei (ließen die Titanic bauen) und daneben das Royal Liver Building.

Die "Drei Grazien" am Fluss.
Die „Drei Grazien“ am Fluss.

Außer London besitzt keine andere Metropole so viele unter Denkmalschutz stehende Gebäude. Man kann sich gar nicht satt sehen an den Häusern in viktorianischer oder neoklassischer Architektur.

Und an jeder Ecke stößt man auf Kunst – das sind Überbleibsel der zweijährlichen Biennale.

Kunst im öffentlichen Raum
Kunst im öffentlichen Raum

Liverpool muss man sich erlaufen.  Die Innenstadt ist übersichtlich, von einem Ende bis zum anderen ist man nur 30 Minuten unterwegs.

Dazwischen: Skurrilitäten wie der wunderbare Pub „The Philharmonic Dining Rooms“, Stammlokal der Beatles. John Lennon soll gesagt haben, das Schlimmste am Ruhm sei, dass er im Phil nicht mehr ungestört ein Bier trinken könne.

Das "Phil" in der Hope Street
Das „Phil“ in der Hope Street

Heute wäre es wahrscheinlich noch schlimmer. Da inzwischen jeder Reiseführer die vornehme Herrentoilette erwähnt, strömen Touristen mit Fotoapparaten an die mit Marmor verzierten Pinkelbecken.

Ganz in der Nähe liegt eine echte Sehenswürdigkeit: Ausgerechnet ein Katholik, Giles Gilbert Scott, hat die größte protestantische Kirche Großbritanniens entworfen.

Die Metropolitan Cathedral
Die Metropolitan Cathedral

Die gewaltige Kathedrale sieht zwar so aus als würde sie schon immer hier stehen, tatsächlich wurde sie aber erst ab 1904 auf den Hügel gesetzt.

Im Innenraum wurden ein Café und ein Souvenirshop eingerichtet, indem man kleine rote Telefonzellen kaufen kann. Denn auch die hat der Architekt der Kirche entworfen.

In Liverpool ist alles ein bisschen anders

Ach ja, Edward Lutyens, der Architekt der katholischen Kirche, war Anglikaner. Und wenn man das zeltförmige Bauwerk sieht, dann weiß man auch, warum es die Einheimischen (zu denen viele Iren gehören),  Paddy’s wigwam nennen.

Die Innenstadt mit der katholischen Kirche
Die Innenstadt mit der katholischen Kirche

Vom Turm der Kathedrale hat man die beste Sicht auf die Stadt, in der heute um 450 000 Menschen wohnen. 1930  waren es noch fast doppelt so viele. Doch zuerst gingen die Jobs auf den Docks und in den Werften verloren, schließlich in den Fabriken der gesamten Region. Zurück blieb eine depressive Arbeiterstadt ohne Arbeit, mit hoher Kriminalität und Drogenproblemen.

Aber Liverpool hat sich berappelt. Heute bietet die Stadt mehr Museen und Galerien als jede andere Englands nach London. Die Biennale, Musik-Festivals, Theater und die Philharmonie, all die Kreativen, haben der Stadt aus der Misere geholfen.

Es gibt Orte, die Energie anziehen wie ein Magnet. Liverpool ist so ein Ort. Wer sich zu Scousern an den Tresen setzt, der versteht,  warum der Mersey Beat nur in Liverpool entstehen konnte.

Ein Kommentar

  1. Och man, da kriegt man doch wieder Fernweh. Ich fand Liverpool damals auch richtig nice. Vor allem der Hafen hatte es mir angetan. Einfach ins Cafe setzen und Leute beobachten, könnte ich den ganzen Tag machen! Leider gab damals euren Blog noch nicht, also habe ich mich an so einer Liste hier https://reise-schreibmaschine.de/europa/liverpool/ orientiert, weiß aber nicht ob das jetzt dieselbe ist. Ein Blog ist einfach immer etwas persönlicher. Immer weiter so!

    Cheers,

    Jonathan

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